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Ein Debattenbeitrag

Bremen oder: warum wir endlich gesetzlichen Schutz für Whistleblower brauchen

Eine Diplom-Verwaltungswirtin wird aus einer Behörde in Bremen nach Bayern versetzt. Soweit ein gewöhnlicher Verwaltungsakt, wie er so oder ähnlich sicher einige hundert Mal im Jahr in Deutschland vorkommt. Brisanz erhält der konkrete Fall dadurch, dass es sich bei der Beamtin um die 44jährige Josefa Schmid handelt – jene Frau, die wesentlich zum Bekanntwerden der massiven Unregelmäßigkeiten bei der Bremer Außenstelle des Bundesministeriums für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beigetragen hat. So informierte Schmid ihre Behördenleitung sowie das verantwortliche Bundesinnenministerium in einem knapp 100 Seiten langen Bericht über erhebliche Zweifel an insgesamt über 3.300 positiven Asylbescheiden. Inzwischen ermittelt die Bremer Staatsanwaltschaft in dieser Sache wegen der Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung in mindestens 1.176 Fällen. Auch aus anderen Außenstellen werden derweil ähnliche Auffälligkeiten gemeldet. Schmid, die als kommissarische Leiterin der Bremer Außenstelle weiterhin bei der Aufklärung hätte behilflich sein können und wollen, hat nun jedoch keinen Zugriff auf ihre Unterlagen mehr. Gegen ihre Rückbeorderung nach Deggendorf – die, wie es heißt, nur zu ihrem eigenen Schutz erfolgt sei – wehrt sich die Niederbayerin inzwischen juristisch.

Folgt man den gängigen Definitionen, so handelt es sich im vorliegenden Fall um Whistleblowing im klassischen Sinn. So hatte Schmid die ihr intern bekannt gewordenen Missstände ausführlich dokumentiert und mehrfach erfolglos versucht, die zuständigen Instanzen bis hoch zum Bundesinnenminister zu informieren. Erst als sie ihre Kenntnisse öffentlich machte, reagierte die Behördenleitung. Nur nicht unbedingt in ihrem Sinne. Während ihre Vorgängerin Ulrike B. drei Jahre lang anscheinend schalten und walten konnte, wie es ihr beliebte, ohne dass jemand nennenswert Notiz davon nahm, wurde Josefa Schmid umgehend ihrer Tätigkeit vor Ort entbunden. Ihre Zeugenvernehmung fand unter Aufsicht der beklagten Behörde statt und selbst ihre privaten Unterlagen sollten durchsucht werden, um eine Weitergabe von Informationen an die Staatsanwaltschaft zu verhindern. Zwar mag ihre Versetzung rechtlich nicht zu beanstanden sein – zumindest ein entsprechender Eilantrag dagegen wurde abgewiesen – aber dennoch zeugt der gesamte Umgang mit dem Fall von einer mangelhaften Fehlerkultur innerhalb des BAMF und des BMI.

Dieses Verhalten ist bedenklich, weil es geeignet ist, das Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Entscheidungen insgesamt in Frage zu stellen. Es nährt vielmehr den Verdacht, der Staat dulde die Umgehung geltenden Rechts bzw. versuche diese zu vertuschen. Im Interesse aller Betroffenen, nicht zuletzt der zu Recht anerkannten Geflüchteten, sollten die gesamten Vorgänge in Bremen und andernorts schnellstmöglich und vollumfänglich aufgeklärt werden – unter Beteiligung aller, die dazu einen Anteil leisten können. Bundesinnenminister Horst Seehofer täte gut daran, in der Affäre schnellstmöglich Transparenz herzustellen. Wer von seinen Bürgern Rechtschaffenheit verlangt, sollte diese auch aktiv vorleben und Fehler der Vergangenheit eingestehen, ohne den oder die Hinweisgeber zu bestrafen. Nur durch einen offenen Umgang mit eigenen Fehlern und Verfehlungen kann der Rechtsstaat jenes Vertrauen zurückgewinnen, welches er in den vergangen Jahren etwa im Umgang mit dem NSU, dem Fall Anis Amri oder dem aktuellen Beispiel aus Bremen teilweise verloren hat. Umso unverständlicher ist es, dass sowohl Bündnis 90/Die Grünen als auch die Linke die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, welcher u. a. die durch Schmid aufgedeckten Vorgänge untersuchen soll, bisher ablehnen und damit jenen, die behaupten, der Staat habe etwas zu verbergen, geradezu in die Hände spielen.

Um ähnlich gelagerte Fälle zukünftig zu vermeiden und einen anderen Umgang mit Fehlern zu fördern, setzt sich die Piratenpartei bereits seit Jahren für einen gesetzlich klar definierten, umfassenden Schutz von Whistleblowern ein. Hiermit sollen klare Vorgaben geschaffen werden, auf deren Grundlage sich Hinweisgeber auf entsprechende Sonderrechte berufen können. Diese müssen ihnen ein umfangreiches Benachteiligungsverbot garantieren und damit dienstliche Sanktionen wie im Fall Schmids verhindern. Insofern bieten die Vorgänge im Bundesamt einen angemessenen Anlass, endlich einen effektiven Whistleblowerschutz in Deutschland zu etablieren.

Update:
In einer früheren Version dieses Artikels war entsprechend der Pressemitteilung 3/2018 der Staatsanwaltschaft Bremen von Asylmissbrauch die Rede. Wir haben diesen durch den konkreten Tatvorwurf ersetzt.

7 Kommentare zu “Bremen oder: warum wir endlich gesetzlichen Schutz für Whistleblower brauchen

  1. Philipp A aus N

    Respekt diesen Beitrag hätte ich den Piraten nicht mehr zugetraut

  2. Seepferdchen

    Eine wirklich gelungene Arbeit.Hut ab vor der Fähigkeit des Autors, eine Sache in der Überschrift zu benennen und eine ganz andere im Text zu thematisieren.
    Besonders interessant fand ich die Stelle, in der Heimatschutzminister Seehofer dazu aufgerufen wird, Transparenz hinsichtlich eines “möglichen massenhaften Asylbetrugs” herzustellen. Er täte gut daran? Nein – er tut nichts lieber als das. Die “Schuldigen” werden gerade ermittelt… Wir haben wieder ein Thema. Wir haben wieder DAS Thema, das von allen anderen ablenkt.
    Sonderbar, dass die Piraten in der Asylfrage plötzlich ins gleiche Horn tuten wie die Mainstream-Medien und sogar den Seehofer zum “Aufräumen” anfeuern.
    Ist diese Herangehensweise eigentlich vom Parteiprogramm der PIRATEN gedeckt?

    • Liberaler

      @Seepferdchen
      Ich kann mir kaum vorstellen, dass das Parteiprogramm der Piraten Korruption in Behörden gutheißt (sofern die Vorwürfe hinsichtlich der Bremer Behörde zutreffen), um Personen die ohne validen Asylgrund eingereist sind dennoch rechtswidrig Asyl in Deutschland zu verschaffen.

    • Nein, ist sie nicht:

      Diese Positionierung läßt sich nicht vereinbaren mit dem Programm der Piratenpartei. Wir Piraten stehen für eine Asylpolitik ein die den Schutz und das Wohl von schutzsuchenden Menschen in den Mittelpunkt stellt. Grundsatzprogramm:
      “Wir setzen uns für eine solidarische, respektvolle und menschenwürdige Asylpolitik ein, die Wohl und Schutz der asylsuchenden Menschen in den Vordergrund stellt und auf Instrumente zur Abschreckung, Isolation und Diskriminierung ausnahmslos verzichtet.Menschen, die in Europa Zuflucht suchen, haben das Recht auf ein menschenwürdiges Leben, auf Bewegungsfreiheit und die Teilhabe an der Arbeitswelt, an Bildung und Kultur. Das gilt sowohl wenn die Gründe der Flucht noch nicht anerkannt sind, als auch wenn eine Rückkehr in das Herkunftsland nicht möglich ist.”
      https://wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm#Asyl

      Bundestagswahlprogramm: “Wir setzen uns deshalb für eine solidarische und menschenwürdige Asylpolitik ein, die am Wohl und Schutz der asylsuchenden Menschen interessiert ist und auf Instrumente zur Abschreckung, Isolation und Diskriminierung ausnahmslos verzichtet. Asylpolitik muss immer an humanitären und nicht an nationalstaatlichen oder wirtschaftlichen Interessen ausgerichtet sein. ”
      https://wiki.piratenpartei.de/Bundestagswahl_2017/Wahlprogramm#Asyl_und_Migration

      Die Basis übt gerade Druck auf den Vorstand aus, die MItteilung zurückzuziehen und hinterfragt die Kontollmechanismen der Pressearbeit.

      • Benchilla

        Warum sollte der Beitrag zurück gezogen werden? Ich finde ihn richtig und auch gut geschrieben. Es geht doch nicht gegen Geflüchtete sondern gegen das Bundesamt?

  3. Gernot Köpke

    Die irreführende Überschrift wurde korrigiert. Der Duktus bzw. der Assoziationsraum deckt sich auch nicht mit dem Parteiprogramm, der Inhalt des Artikels, also Whistleblowerschutz, natürlich schon.

    Grundsatzprogramm:
    “Wir setzen uns für eine solidarische, respektvolle und menschenwürdige Asylpolitik ein, die Wohl und Schutz der asylsuchenden Menschen in den Vordergrund stellt und auf Instrumente zur Abschreckung, Isolation und Diskriminierung ausnahmslos verzichtet.Menschen, die in Europa Zuflucht suchen, haben das Recht auf ein menschenwürdiges Leben, auf Bewegungsfreiheit und die Teilhabe an der Arbeitswelt, an Bildung und Kultur. Das gilt sowohl wenn die Gründe der Flucht noch nicht anerkannt sind, als auch wenn eine Rückkehr in das Herkunftsland nicht möglich ist.”
    https://wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm#Asyl

    Bundestagswahlprogramm: “Wir setzen uns deshalb für eine solidarische und menschenwürdige Asylpolitik ein, die am Wohl und Schutz der asylsuchenden Menschen interessiert ist und auf Instrumente zur Abschreckung, Isolation und Diskriminierung ausnahmslos verzichtet. Asylpolitik muss immer an humanitären und nicht an nationalstaatlichen oder wirtschaftlichen Interessen ausgerichtet sein. ”
    https://wiki.piratenpartei.de/Bundestagswahl_2017/Wahlprogramm#Asyl_und_Migration

  4. Karsten

    Und ? Passiert in dieser Sache noch was ?
    Oder – um Das anders zu formulieren: Unternehmen die Piraten in dieser Sache noch was ?

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