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Ein Beitrag des EU-Parlamentariers Mikuláš Peksa (Piratenpartei Tschechien)

Gute Gründe für ein eigenes Navigationssystem

„Amerikaner schalten im Rahmen der Ukraine-Krieg-Sanktionen GPS-Navigation für Russland ab!“ Ab dem 13. März diesen Jahres ging ein Tweet viral und sammelte innerhalb weniger Stunden Tausende „Herzchen“. Zudem gab es zahllose Re-Tweets mit Sticheleien über die offensichtlich mangelhafte Treffgenauigkeit russischer Raketen. All das, obwohl der Verfasser des Tweets seine Information nicht belegen konnte.

Sogar der Chef der russischen Weltraumbehörde Roskosmos, Dimitriy Rogosin, sagte eine Woche später bei einem Besuch im russischen Raketen- und Raumfahrtzentrum, die USA erwägen, Russland vom GPS-Navigationssystem abzukoppeln. Von amerikanischer Seite wurde diese Annahme weder bestätigt noch dementiert. Ich persönlich sehe hierin ein veritables Beispiel für den Einsatz von Fehlinformationen als zunehmend beliebte Waffe der modernen Kriegsführung.

Es wäre auch weder technisch noch strategisch sinnvoll GPS für Russland abzuschalten. Warum das so ist, versuche ich in diesem Artikel zu erläutern.

Wir alle nutzen Navigationssysteme, beispielsweise in unseren Handys. Darüber, wie diese Systeme funktionieren, und ob man sie tatsächlich auch für bestimmte Gebiete oder Länder „ausschalten“ kann, denkt kaum jemand intensiver nach.

USA: GPS und die Geburt der Satellitennavigation

Der Begriff GPS ist die heute übliche Kurzbezeichnung für globale Satellitennavigationssysteme (GNSS). Zurückzuführen ist sie wohl darauf, dass die Amerikaner als erste über ein solches vollfunktionsfähiges System verfügten, das sie eben in Kurzform GPS nannten. Dieses US-System ist im Besitz der US-Regierung. Für seinen Betrieb ist die US Space Force, also die Raumfahrtabteilung der US-Streitkräfte, zuständig. Seit dem Jahr 2000 ist das GPS-Signal für zivile und militärische Zwecke gleich. Unterschiede in der Positionsgenauigkeit sind hauptsächlich auf die Qualität des jeweiligen Empfängers und die jeweilige Umgebung zurückzuführen (in städtischer Umgebung mit hohen Gebäuden und begrenztem Blick zum Himmel kann die Genauigkeit geringer sein). Übliche Smartphones mit GPS können die Position auf bis zu 5 Meter Genauigkeit bestimmen, kommerzielle GPS-Geräte auf wenige Millimeter.

Das GPS-System besteht aus 24 Satelliten, die u.a. mit einer sehr genauen Uhr ausgestattet und so im Orbit verteilt sind, dass jeder Punkt der Erde jederzeit mit einem Signal abgedeckt ist. Bei GPS handelt es sich, wie übrigens bei allen Geonavigationssystemen, um ein absolut passives System. Was bedeutet das? Vereinfacht gesagt senden Satelliten kontinuierlich ein Signal mit ihrer genauen Position und einem Zeitstempel aus, und zwar unabhängig davon, ob dieses auf der Erde, oder gar in einem bestimmten Land oder von einer bestimmten Person empfangen wird oder nicht. Die Standortbestimmung als solche erfolgt im Empfängergerät. Sobald Ihr Mobiltelefon von vier Satelliten ein Signal empfängt, kann es Ihre Position, Geschwindigkeit und Richtung, in der Sie sich bewegen, berechnen. Somit ist es technisch tatsächlich unmöglich, Satelliten abzuschalten, die nur ein bestimmtes Gebiet abdecken. Theoretisch aber könnten die Vereinigten Staaten zum Beispiel die Störung ziviler Kanäle durch Zufallsfehler wieder einführen, damit diese nicht mehr für eine präzise Ortung genutzt werden könnten. Die hieraus für das russische Militär entstehenden Komplikationen wären allerdings vernachlässigbar. Russland verfügt, wie auch die Europäische Union oder China, über ein eigenes globales Navigationssystem. Und selbst ein normales Smartphone ist in der Lage, Signale von mehreren Systemen gleichzeitig zu empfangen.

Russland: GLONASS

Es ist wahrscheinlich keine große Überraschung, dass die Entwicklung des russischen globalen Navigationssystems GLONASS, ebenso wie die des amerikanischen GPS, bereits während des Kalten Krieges begann. Das System wurde in den 1990er Jahren fertiggestellt, veraltete aber nach und nach.

Der Vollbetrieb in der Konstellation von 24 Satelliten wurde erst 2011 nach massiven Investitionen wieder aufgenommen, und bis heute verschlingt GLONASS rund ein Drittel des russischen Raumfahrtbudgets. Wie bei GPS senden die Satelliten Signale auf unterschiedlichen Frequenzen, aber im Gegensatz zu GPS kann das hochpräzise Signal der GLONASS-Satelliten nur von autorisierten Nutzern wie etwa dem russischen Militär genutzt werden.

Es geht sogar das Gerücht um, dass das GLONASS-Signal für militärische Zwecke genauer ist als GPS – und als wäre das noch nicht genug, gibt es noch zwei weitere globale Navigationssysteme.

EU: Galileo

Das europäische Navigationssystem ging 2016 in Betrieb, befindet sich derzeit aber noch in einer „präoperativen“ Phase. Das bedeutet, dass die Satelliten zwar Signale senden (die sowohl für zivile als auch für staatliche Zwecke genutzt werden können). Von den 28 Satelliten in der Umlaufbahn sind aber erst 21 voll funktionsfähig (und 2 in der Testphase). Eine voll funktionsfähige Konstellation wird wie bei GPS und GLONASS aus mindestens 24 Satelliten bestehen. Doch Galileo verspricht für die zivile Nutzung eine noch höhere Ortungsgenauigkeit, von etwa einem Meter.

Dass Galileo schon heute von den meisten modernen Smartphones genutzt werden kann, ist in der Allgemeinheit fast unbekannt. Wenn Sie überprüfen möchten, ob Ihr Smartphone Galileo- fähig ist, gehen Sie auf die EUSPA-Website [https://www.usegalileo.eu/accuracy-matters/DE] und folgen Sie den dortigen Anweisungen. Seit der vergangenen Woche müssen alle neuen Telefone, die auf den europäischen Markt kommen, die Signale der europäischen Galileo-Satelliten empfangen können. Mehr darüber erfahren Sie auch bei einem persönlichen Besuch am EUSPA-Sitz in Prag-Holešovice.

China: BeiDou

Die Idee, ein eigenes Navigationssystem zu entwickeln, wurde in China bereits in den 1980er Jahren geboren, es dauerte dann aber zwanzig Jahre, bis die Entwicklung eigener Satelliten in Gang kam. Ursprünglich war auch angedacht, dass China im Rahmen des Galileo-Projekts mit der EU zusammenarbeiten sollte, insbesondere im Bereich der zivilen Satellitennavigation. Letztlich entschied sich China dann aber für ein eigenes System. BeiDou ist seit 2018 offiziell ein voll funktionsfähiges GNSS.

Die einzige Möglichkeit ist und bleibt eine Signalstörung

Ungeachtet der Tatsache, dass Russland wahrscheinlich auch ein Netz bodengestützter Sender für die Navigation nutzt, ist es angesichts der Vielzahl der voneinander abhängigen globalen Navigationssysteme fast unmöglich, dass einzelne Länder plötzlich ohne Satellitennavigation dastehen würden.

Ein Ausschluss aus einem Satellitennavigationssystem kann u.a. durch Störsignale, ausgesendet von bodengestützten Geräten, erreicht werden. Russlands größter Störsender Krasucha 2 kann Satellitensignale in einem Umkreis von bis zu 250 Kilometern stören. Russland hat diesen Sender bereits bei NATO-Übungen in Finnland im Jahr 2018 eingesetzt, und es ist nicht ausgeschlossen, dass er auch im aktuellen Krieg gegen die Ukraine zum Einsatz kommt.

Ebenso könnten die Vereinigten Staaten, aber auch andere Mächte, Satellitensignale über bestimmten Gebieten selektiv stören oder den Zugang zu den Signalen nur für militärische und Regierungszwecke erlauben. Diese Maßnahmen hätten jedoch nur eine begrenzte Wirkung und würden wahrscheinlich wieder am stärksten die Zivilbevölkerung treffen.

Sie können selbst mit einer einfachen mobilen App prüfen, wie viele und welche Satelliten Ihr Telefon sieht und verwendet! [github.com/barbeau/gpstest]

Dieser Beitrag des EU-Parlamentariers Mikuláš Peksa (Piratenpartei Tschechien) wurde zuerst auf auf dessen Homepage veröffentlicht, zu finden unter folgendem Link: mikulas-peksa.eu/ge/gute-grunde-fur-ein-eigenes-navigationssystem/