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Ein Beitrag von Alex Kohler, Themenbeauftragter für Außen- und Sicherheitspolitik

Bundeswehr-Ausrüstung: 100 Milliarden € für die europäische Sicherheit – ja klar, aber richtig

Zunächst einmal möchte ich betonen: Das Thema Rüstung erhitzt stets die Gemüter. Und dieser Text soll nicht der parteipolitischen Profilierung dienen, sondern konstruktiv mithelfen, ein gemeinsames Ziel zu erreichen – eine Verteidigungsstrategie zu erzielen, die dem Frieden in Europa und der Welt dient. Und er soll die Politik für ein Mindset sensibilisieren, das notwendig ist, damit das Geld, das der Bundeswehr nun zur Verfügung gestellt werden soll, auch sinnvoll eingesetzt ist.

Schuld am momentanen Zustand der Bundeswehr sind viele. Nun sind wir im Angesicht der schrecklichen Ereignisse in der Ukraine aufgewacht, und erkennen, dass die Welt von Geopolitik bestimmt ist und manche Akteure auch ihre Streitkräfte als Mittel der Diplomatie einsetzen. Nun ist es an der Zeit, jenseits von Parteibrille und Schuldzuweisungen konstruktiv darauf hinzuarbeiten, die Probleme bei der Bundeswehr zu lösen.

Die Herausforderung

Der Angriffskrieg von Präsident Putin auf die Ukraine hat zu einem Putin-Schock für die deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik geführt und uns den Wert von Sicherheit und militärischer Abschreckung klar gemacht. Als sichtbares Zeichen will die Bundesregierung nun zum Einen den regulären Verteidigungshaushalt auf 2% des Bruttoinlandproduktes (BIP) jährlich erhöhen und zum Anderen einen Sonderfonds von 100 Mrd € aufsetzen, um die Bundeswehr so auszustatten, dass sie auch glaubhaft im Bündnis abschreckt. Dieses Geld darf nun nicht unnütz versickern.

Zielsetzung ist wichtig

Beschreiben wir das Ziel einfach mal wie folgt:

– Aufbau einer einsatzfähigen und abschreckungsfähigen Bundeswehr; diese muss für das Geld ein verlässlicher und in ihrer Stärke sichtbarer Teil der EU-Sicherheitsstruktur werden.

Wo soll das Geld nun genau investiert werden? 

Das müssen nun die Profis vorgeben. Jene, die die Ausstattung auch einsetzen. Also die Bundeswehrsoldaten, und nicht ein entfernter Projektmanager. Und die Politik muss ihnen zuhören. Bei einer Armee wie der deutschen, die dem Parlament untersteht, hat der Bundestag selbstverständlich das letzte Wort über den finanziellen Rahmen, aber den konkreten Einsatz der Mittel kann das Parlament nicht effizient bestimmen.

Aktuell sehen wir ja bei Putin, was passiert, wenn man sich eine Informationsblase aus Ja-Sagern aufbaut, die potemkinsche Dörfer bauen um die Person an der Spitze zu beeindrucken. Dann trifft man die falschen Entscheidungen basierend auf der eigenen Propaganda.

Das Supertool für den Umbau

Um die Reformierung und Neuaufstellung der Bundeswehr sinnvoll zu lenken, hilft ein Lernen aus der Geschichte: Als Napoleon durch Europa tobte, entstand ein Schock-Effekt, der im damaligen Preußen zu tiefgreifenden Militärreformen führte. Vielleicht – und ich wünsche es mir zu unserer aller Sicherheit – führt der aktuelle Putin-Schock zu ähnlichen Effekten, denn der damalige Schock brachte etwas revolutionäres.

Reformiert wurde nach der Strategie der “Auftragstaktik”, auch bezeichnet als “Führung im Auftrag”.

Was ist das also? Vor Napoleon verwendete man allgemein die “Befehlstaktik”: Der Vorgesetzte gibt dem Soldaten einen genau ausgearbeiteten Befehl, und dieser wird exakt so umgesetzt. Der Nachteil dieser Taktik ist: Fällt der Vorgesetzte aus, weiß die Truppe nicht, was zu tun ist. Und dieser Effekt, also eine Detailplanung von Vorgesetzten, politischen Funktionären, oder aus dem Parlament heraus, möchte ich bei der Neuausstattung der Bundeswehr nicht erleben – denn es geht um unsere und die europäische Sicherheit.

Stattdessen die “Auftragstaktik”: Der Vorgesetzte formuliert einen “Auftrag”, also ein Ziel, und stellt die Mittel zur Verfügung, die zur Erreichung notwendig sind. Zum Beispiel lautet ein Auftrag, eine Stellung zu halten – statt strikt vorzugeben, wer wo wann zu stehen oder liegen hat und nur auf unmittelbaren Befehl von höchster Stelle eine Truppenbewegung zu erlauben. Man befähigt die Truppe also, auf Entwicklungen selbstständig zu reagieren und eigene Entscheidungen zu treffen.

Genau so geht im Übrigen auch die ukrainische Bevölkerung aktuell vor. Sie hat das gemeinsame Ziel, Putins Angriff zurückzuschlagen, und organisiert sich in konkreten Situationen in kleine Einheiten. Auf politischer Ebene dient auch Helmut Schmidt als Beispiel für die Effizienz der Auftragstaktik, denn bei der Hamburger Jahrhundertflut setzte er auf politische Rahmenbedingungen ohne vor Ort Mikromanagement zu betreiben.

Im Sinne der Bundeswehr-Neuaufstellung sollten nun also Bundestag und Bundesregierung den Rahmen setzen – also formulieren, welche Fähigkeiten erwünscht sind – und lässt dann die Profis ran. Versucht man, aus der Entfernung zu mikromanagen, zahlt man in der Regel drauf und erzielt einen minderen Effekt. 

Man gibt also den direkt Betroffenen, den Offizieren/Unteroffizieren/Mannschaften aus allen Waffengattungen, Handlungsspielraum und bringt diese zusammen. Sie sollen sich gemeinsam Gedanken machen, wie man das Ziel, sehr gute und effektive Streitkräfte aufzustellen (und keine Bonsaiarmee, die ausschaut wie eine Armee, alle Funktionen einer Armee hat, aber keine schlagkräftige Armee ist). Denn diese Streitkräfte sollen ja funktionieren und Akteure wie Putin auch konventionell aufhalten können, wenn man alle Fähigkeiten kombiniert verwenden kann.

Verbesserungen anhand von Beispielen

Aktuell gibt es genügend Negativbeispiele, wie zentrale Planung im Sinne der Befehlstaktik sehr schlechte Ergebnisse liefert. Sehen wir uns ein paar Beispiele an.

Wie verlaufen die deutschen Auslandseinsätze? Die Politik entscheidet, ob sich Deutschland an Auslandseinsätzen beteiligt. Nun obläge es der Politik, ein ausreichend konkretes Ziel zu formulieren – also nicht schwammige, sondern konkrete Ziele, auf deren Erreichung die Bundeswehr hinplanen kann.

Wie würde man also im Sinne der Auftragstaktik prozedural vorgehen?

Zunächst holt sich der Entscheidungsträger – der Bundestag – Informationen aus den verfügbaren Bereichen: Einschätzungen und Informationen des Nachrichtendienstes (BND), Analysen des diplomatischen Dienstes zur Lage vor Ort, Einschätzungen der Entwicklungshilfe und der Wirtschaft. Im Anschluss fordert man von qualifizierten Planungsstäben ein Konzept an, um notwendige Mittel für einen Einsatz einschätzen zu können. Hat man nun eine Vorstellung, wieviele Soldaten, wieviel Gerät und welchen Zeithorizont man für die Zielerreichung benötigt, entscheidet der Bundestag: Ja, wir machen den Einsatz, oder nein, wir machen ihn nicht. Nicht sinnvoll ist es, zu sagen: Ja, wir machen es, aber nur mit halbem Ressourceneinsatz. Denn das geht dann mit ziemlicher Sicherheit schief.

Wurde so bei bisherigen Missionen vorgegangen? Nun – was genau wollten wir eigentlich in Afghanistan oder Mali erreichen? Seien wir ehrlich, man kann leicht den Eindruck gewinnen, Auslandseinsätze der Bundeswehr wurden geplant auf Basis von Symbolik, garniert mit Zahlenmystik. Man erteilt ein Mandat, versehen mit einer Zahlenobergrenze, formuliert keine klare Zielsetzung – und wundert sich am Ende, dass die Ressourcen nicht zur Erreichung des (ohnehin im Grunde unbekannten) Einsatzzieles reichen.

Beispiel Mali. Das Land hat viermal die Größe Deutschlands. Wüste und Sahelzone, Terroristen, Ex-Gaddafi-Tuareg-Söldner hochbewaffnet. Man hatte das Ziel, die Regierung (weggeputscht) zu unterstützen. Die dortigen Streitkräfte und unsere Werte zu verteidigen, das hört sich ja toll an. Vielleicht kam noch das realpolitische Ziel der EU “Sicherung der Uranreserven” hinzu (das wäre zumindest ein konkretes Ziel). Im Großen und Ganzen lässt sich aber keine konkrete Zielsetzung erkennen. 

Ein abschreckendes Beispiel auf anderer Ebene:

Nehmen wir an, man möchte einen Stahlschrank mit Schusswaffen mit einem ausreichend guten Vorhängeschloss sichern. Man würde annehmen: die Einheit hat ein Budget für Kleinkram und kauft das Schloss. So war das früher auch einmal üblich, als der Beschaffungsfeldwebel den Auftrag annahm und das Schloss besorgte.

Aktuell existiert durch Beraterkonzepte folgendes, korruptionssicheres Konzept zur Beschaffung von Kleinkram: 

Man geht zum Bundeswehrdienstleistungszentrum, füllt einen Antrag aus (nicht den Passierschein A38 zumindest) und versucht, möglichst genau zu spezifizieren, was man wünscht. Damit man auch das Richtige bekommt, versteht sich. Man sucht sich also das Qualitätsschloss mit Produktnummer usw., schreibt das in den Antrag an die zuständige Stelle, wartet 9 Monate auf das Produkt, hat sich vielleicht schon in seiner Verzweiflung selbst im Baumarkt versorgt und bekommt nach 9 Monaten die Nachricht, das bestellte Vorhängeschloss sei da – mit einem Qualitätslevel, der für das Abschließen des Poesiealbums reicht.

Lösung:

Hier würde es helfen, man würde einfach wieder ein ausreichendes Budget für Kleinkram vergeben. Vielleicht sind die bestehenden Töpfe nicht ganz so einfach zu nutzen. Im Endeffekt aber muss man den Verantwortlichen vor Ort die Möglichkeit geben, sich schnell selbst zu helfen. Man muss ihnen die Mittel zur Verfügung stellen, und das ist nicht ein bürokratischer Prozess.

Nehmen wir noch ein anderes Beispiel, das aufzeigt, dass die Kaltstartfähigkeit stark eingeschränkt ist:

Man beschafft ein Gerät (sagen wir, einen Fennek Spähwagen) und muss dieses einsetzen. Es funktioniert in unserem Fall vielleicht aber gerade nicht. Man möchte meinen, man wendet sich nun an den Fachmann der Truppe, den Schirrmeister. Dieser erkennt das Problem und sagt: Ja, da ist ein Schlauch kaputt und der müsste ausgetauscht werden. In der Ukraine würde man jetzt wohl einen Schlauch besorgen und schnell (man will ja weg) den Schlauch tauschen, denn es ist vielleicht nicht so günstig, während man beschossen wird, zu warten. Das ist etwas harsch formuliert, aber eine Belagerung und ein akuter Schusswechsel darf in diesem Beispiel durchaus als gleichberechtigte Bedrohung, die sich jederzeit akut tödlich entwickeln kann, gelten. Worauf also warten? Auf das Subunternehmen. Das aus Effizienzgründen ein Team schickt, sich die Sache anschaut, und dann das Ersatzteil bestellt. Und wenn man nicht erschossen ist, kann man nach einem Monat dann weiterfahren.

Lösung:

Der Schirrmeister bzw. die Einheit müssen selbst in die Lage versetzt werden, Reparaturen vorzunehmen. Wer auch immer dieses Konstrukt der Reparaturvorgehensweise in einer PowerPoint-Präsentation als effizient verkauft hat, begeht fast schon ein Verbrechen und schädigt die Bundeswehr. Das Subunternehmen kann gerne Geld verdienen wenn es tatsächlich etwas zur besseren Versorgung beiträgt, aber der zentrale Aspekt muss die schnelle Einsatzfähigkeit der Einheit sein.

Die Hauptherausforderung

Diese Beispiele im Hinterkopf, überlegen wir, wie nun eine effiziente Verteilung der 100 Milliarden € zusätzlicher Mittel gestaltet werden soll.

Zunächst müssen wir am Beschaffungsamt der Bundeswehr vorbeikommen:

– Was macht man dort? Man setzt Projekte um. 

– Was ist die Zielsetzung? Projekte schön umzusetzen. 

– Ist es gut, dass ein Amt mit dieser Zielsetzung den spezialisierten Anwendern sagt, was sie wie nutzen dürfen, obwohl man selbst keine Erfahrung damit hat? Nein, das ist nicht die richtige Zielsetzung

Also was wäre ein Lösungsansatz?

Zur Effizienz könnte es natürlich beitragen, die Projektmanager das Material im Gefecht/Einsatz selbst testen zu lassen – aber diesen doch etwas zu innovativen Ansatz verwerfen wir lieber gleich wieder. Nein, besser wäre es, das Beschaffungsamt als Dienstleister aufzustellen (der es aktuell nicht ist), das als Project Management Office fungiert, um die Rahmenbedingungen für die Investition des Geldes zu verwalten. Das Beschaffungsamt kann selbstverständlich Sorge tragen, dass alle Konzepte und Planungen vorliegen, dass Verträge rechtssicher geschlossen werden, und dass Ausschreibungen ordentlich verlaufen. 

Die Entscheidungshoheit darüber, was konkret beschafft werden soll, die muss nun aber zurück in die Truppe. Es müssen keine Goldrandprodukte sein, die ausgerollt werden, aber die Industrie muss einfach auch Produkte von der Stange liefern, mit denen sich auch die Produzenten selbst ins Gefecht begeben würden und die nicht bei robustem Einsatz auseinanderfallen. Es ist demgegenüber unverantwortlich zu erwarten, dass sich unsere Bundeswehr mit unzulänglicher Ausrüstung in den Einsatz begibt.

Zusammenfassung

Diese Beispiele zeigen einfach, dass man den Soldaten demokratisch-legitimierte Ziele, aber auch die Möglichkeit geben muss, diese selbstständig zu erreichen. Und einen entsprechenden Rahmen schaffen muss. Man braucht auch eine gewisse Fehlerkultur und Verantwortlichkeit innerhalb der Truppe. Ich wünsche mir von unseren Entscheidungsträgern im Bundestag und im Ministerium, dass sie die Betroffenen – die Bundeswehr – befähigen im Sinne der Auftragstaktik, statt aus der Entfernung Entscheidungen vorwegzunehmen, die vor Ort in der Truppe besser getroffen werden.