Brexit (Austritt Großbritaniens aus der Europäischen Union)
Aktuell wird im Rahmen der „Brexit“-Berichterstattung immer wieder der Artikel 50 erwähnt. Dabei handelt es sich um einen Artikel im Vertrag über die Europäische Union. In diesem Artikel sind das Recht der Mitgliedstaaten zum Austritt sowie die entsprechenden Modalitäten hierfür festgelegt. Wir wollen es allerdings genauer wissen und analysieren die Primärquelle im Wortlaut mit den entsprechenden Kommentierungen zu jedem Absatz.
Art. 50
(1) Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten.
Im Falle von Großbritannien braucht es jetzt einen Beschluss des britischen Parlamentes, da die Volksabstimmung rechtlich nicht bindend ist.
(2) Ein Mitgliedstaat, der auszutreten beschließt, teilt dem Europäischen Rat seine Absicht mit. Auf der Grundlage der Leitlinien des Europäischen Rates handelt die Union mit diesem Staat ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus und schließt das Abkommen, wobei der Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union berücksichtigt wird. Das Abkommen wird nach Artikel 218 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgehandelt. Es wird vom Rat im Namen der Union geschlossen; der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments.
In unserem konkreten Fall des Brexits muss die britische Regierung offiziell den Austritt verkünden. Diese Mitteilung überlässt David Cameron seinem Nachfolger, der im Oktober feststehen soll. Mögliche Kandidaten verkünden schon jetzt, dass die Mitteilung an die EU nicht 2016 passieren wird. Welche Gründe gibt es hierfür? Zum einen waren sowohl die Brexit-Befürworter als auch ihre Gegner in den britischen politischen Institutionen überrascht über den Ausgang, zum anderen ist das Thema durch die enge Verflechtung sehr komplex und der Aufwand sehr hoch. Einen so genialen Sündenbock wie die EU zu verlieren, ist natürlich auch schade. Nun wird unter Absatz 3 der zeitliche Ablauf des Austritts beschrieben.
(3) Die Verträge finden auf den betroffenen Staat ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der in Absatz 2 genannten Mitteilung keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern.
In Absatz 3 finden wir nun den konkreten Grund, warum sich Großbritannien so sehr ziert, eine offizielle Mitteilung zu schreiben und die EU-Seite auf einen zügigen Start drängt. Da Großbritannien keine großen eigenen Kapazitäten für solche Vertragsverhandlungen vorweisen kann und nach zwei Jahren theoretisch keine Verträge abgeschlossen sein könnten, möchte man sich hier sich jeden Spielraum offenhalten. Für Großbritannien ist diese Regelung eine absolute Gefahr. In Absatz 4 werden nun die Modalitäten der Beratungen und Beschlussfassungen beschrieben.
(4) Für die Zwecke der Absätze 2 und 3 nimmt das Mitglied des Europäischen Rates und des Rates, das den austretenden Mitgliedstaat vertritt, weder an den diesen Mitgliedstaat betreffenden Beratungen noch an der entsprechenden Beschlussfassung des Europäischen Rates oder des Rates teil. Die qualifizierte Mehrheit bestimmt sich nach Artikel 238 Absatz 3 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
Bei den Verhandlungen ist somit kein britischer Vertreter zugelassen. Die qualifizierende Mehrheit wird seit dem 1. November 2014 mit 55 % der Vertreter der Mitgliedstaaten erreicht. Diese müssen mindestens 65 % der Bevölkerung der beteiligten Mitgliedstaaten repräsentieren. In Absatz 5 wird der mögliche Wiedereintritt geregelt.
(5) Ein Staat, der aus der Union ausgetreten ist und erneut Mitglied werden möchte, muss dies nach dem Verfahren des Artikels 49 beantragen.
Konkret müsste Großbritannien noch einmal den gesamten Aufnahmeprozess durchlaufen, und jedes einzelne Mitgliedsland müsste diesem zustimmen.
Fazit
Das Vereinigte Königreich befindet sich bei der offiziellen Erklärung des Austritts in einer sehr schlechten Verhandlungsposition. Die Kapazitäten für die hochkomplexen Verhandlungen sind begrenzt. Parallel müssten weltweit Handelsabkommen ausschließlich zwischen Großbritannien und anderen Ländern geschlossen werden. Das Zeitfenster ist hier extrem ungünstig und im Extremfall könnte Großbritannien auch ohne Vertrag mit der EU dastehen.
Falls ein Abkommen zwischen der EU und Großbritannien zustandekommen würde, welches denen mit der Schweiz und Norwegen gleicht, müsste Großbritannien einige Dinge, wie beispielsweise die Arbeitnehmerfreizügigkeit, akzeptieren; es müsste zahlen (die Schweiz zahlt jährlich 2 Mrd. Euro an die EU) und hätte keine Einflussmöglichkeiten mehr über die europäischen Institutionen und müsste deren Regeln übernehmen.
Deshalb wird versucht, die offizielle Erklärung zum Austritt hinauszuzögern. Als Moral der Geschichte bleibt uns die Erkenntnis, die EU als Sündenbock für eigene Fehler zu nutzen, kann auch nach hinten losgehen.
Quelle: EU-Vertrag Artikel 50