Inneres und Sicherheit Kommunalpiraten

Interview mit Ute Elisabeth Gabelmann aka Piratenlily

Wir haben sie zu ihrer Aussage „Jeder soll seine Party selbst bezahlen“ befragt und zu ihrer Arbeit in der Stadt Leipzig.

 

Du bist Stadträtin in Leipzig. Welche Eindrücke hast du in der Kommunalpolitik gesammelt?

Ich bin jetzt seit etwas über einem Jahr im Amt und mir sind von Beginn an zwei Punkte sehr stark aufgefallen:
Zum einen dachte ich bisher immer, daß die Klischees, die man über andere Parteien im Kopf hat, eben nur das sind – nichts als Klischees. Allerdings hat sich herausgestellt, daß dem nicht so ist: Die Linken sind typische Linke, die Grünen sind typische Grüne usw. und das war für mich schon überraschend. Ich hatte eigentlich gedacht, daß das etwas ausdifferenzierter wäre, als ich es mir vorgestellt habe.

Der zweite starke Eindruck ist, daß tatsächlich oft nicht danach geschaut wird, ob ein Vorschlag, eine Idee, ein Antrag sinnvoll sind, sondern ob die richtige Person diesen Antrag verfaßt hat. Das betrifft noch nicht mal Vorschläge, die aus dem undemokratischen Lager kommen, sondern vielmehr die Anträge der anderen Parteien des Parteienspektrums. Es kommt nicht selten vor, daß eine Fraktion den Antrag eines Fraktionsmitgliedes nicht einreicht, weil dieses Fraktionsmitglied eben zum falschen Flügel der Partei gehört.
Mittlerweile hat sich unter den Stadträten herumgesprochen, daß meine Anträge per Fraktionsvertrag automatisch ins Verfahren kommen, so daß ich schon mehrfach gebeten wurde, Proxy zu spielen.

Zur Zeit bist du in der Presse oft erwähnt worden, weil du ein Bürgerbegehren initiiert hast. Worum geht es dabei?

Das ist eigentlich eine „alte“ Sache, die jetzt noch mal hochspült. 2014 hat Leipzig noch mit dem alten Stadtrat beschlossen, den 100. Katholikentag hier in Leipzig mit einer Million Euro auszustatten. Ich habe dann ein Bürgerbegehren initiiert, welches unter dem Label „(K)Eine Million“ unter anderem Piraten, Linke, Die Partei und diverse Vereine und Verbände sowie Einzelunterstützer zusammenführte, die alle zusammen über 18.000 Unterschriften sammeln konnten. Leider haben wir damit relativ knapp die benötigte Marke von etwa 22.500 verfehlt, weswegen der Stadtratsbeschluß in Kraft trat.

In diesem Sommer nun findet der Katholikentag statt und wir wollen diesen kritisch begleiten. Dazu wird es in den kommenden Wochen nähere Informationen geben. Ich freu mich daher über Piraten und Piratenfreunde, die mich in diesen fünf Tagen im Mai (25. bis 29.05.) tatkräftig unterstützen können und wollen.

Bezieht sich dein Protest/Widerspruch auf Trennung von Staat und Kirche, oder hat es was mit der Wirtschaftlichkeit in Leipzig zu tun?

Unsere Kritik bezieht sich auf eine Reihe von Punkten:
Zuerst einmal natürlich auf den laizistischen Aspekt der Trennung von Staat und Kirche. Wir Piraten haben uns da ganz klar positioniert und genau diese Haltung vertrete ich auch innerhalb von „(K)Eine Million“.
Aber selbst wenn man nicht so ein großer Verfechter dieser Trennung ist, gibt es weitere Kritikpunkte: Die Wirtschaftlichkeit ist da tatsächlich ein großes Thema. Viele der Versprechungen, die seitens des Zentralkomitees der Katholiken gemacht wurden, werden in meinen Augen nicht eingehalten. Es entstehen weder zusätzliche Arbeitsplätze, noch haben Hotelbetreiber den erhofften Umsatz. Im Gegenteil: Der Katholikentag sucht massiv freiwillige Helfer, also kostenloses Personal, und Gratisunterkünfte bei Leipziger Bürgern.

Wichtig fand ich aber auch von Anfang an, daß die Finanzierung des Katholikentages, die eben nicht eingeflochten ist in unseren gesamten kommunalpolitischen Finanzhaushalt, eine Sache gewesen wäre, die man im Zuge der Bürgerbeteiligung sehr schön hätte lösen können. Daher fand ich den Ansatz eines Bürgerbegehrens auch genau den richtigen Weg.

Es ist ja Standard geworden, daß Länder, Regionen und Städte für große Events/Veranstaltungen ihre Geldbeutel öffnen. Wie findest du diese Entwicklung?

Das kommt hauptsächlich darauf an, ob es sich bei den großen Veranstaltungen um solche handelt, die sich auch selber tragen könnten bzw. finanzkräftige Sponsoren und Unterstützer einwerben könnten, oder um solche, die einfach noch eine gewisse Anschubfinanzierung benötigen, um gute Arbeit zu leisten.
Vorrangig würde ich lieber Veranstaltungen fördern wollen, die sozialen oder bildenden Charakter haben, als reine Show-Events wie große Konzerte oder Sportveranstaltungen.

Bezogen auf den Katholikentag war aber immer die Ansage, daß gegen eine Förderung von Veranstaltungen an sich nichts zu sagen ist, sondern hier die besondere Ausrichtung des Katholikentages als missionarische Veranstaltung eine Rolle spielt.

Zwei weitere Faktoren kommen hinzu: Das Budget des Katholikentages ist mit 10 Millionen Euro recht üppig geplant. Davon kommen 4,5 Millionen aus öffentlicher Hand. Wenn man nun einfach die Veranstaltung eine Nummer kleiner geplant hätte, wäre man sicherlich auch mit den 5,5 Millionen ausgekommen, die bereits von anderer Stelle eingeworben werden konnten. Zudem wäre es sicherlich auch der Institution Katholische Kirche möglich gewesen, den für sie ja sehr wünschenswerten Katholikentag weiter zu fördern. Daß diese sich hier so aus der Verantwortung zieht, ist für mich unverständlich.

Wäre es für die Stadt Leipzig im Zuge der Bürgerbeteiligung nicht sinnvoller, die Bürgerinnen und Bürger in diese Diskussion einzubeziehen?

Ja, total! Mir ist auch bis heute nicht klar, warum solche Steilvorlagen ungenutzt bleiben. Ich weiß aber aus Hintergrundgesprächen, daß der Katholikentag bereits bevor der Stadtrat überhaupt davon erfuhr, eine Zusage bekommen hat, daß er mit der Finanzierung rechnen kann. Das Land Sachsen hat dann nochmal drei Millionen Euro obendrauf gelegt, unter der Bedingung, daß auch Leipzig seine Million zahlt. Mit solchen gegenseitig voneinander abhängenden Versprechen tut man sich als Verwaltung natürlich schwer, dann so etwas wie eine Bürgerumfrage zu initiieren.

Das wirklich Bestürzende war, daß diese Entscheidung beinah völlig geräuschlos und ohne Wissen der Leipziger über die Bühne gegangen wäre, wenn ich nicht durch Zufall auf den Sachverhalt gestoßen wäre, und zusammen mit der Giordano-Bruno-Stiftung einige Öffentlichkeitsarbeit geleistet hätte. Ich freu mich daher auch, daß unsere Arbeit hier vor Ort den Weg dafür geebnet hat, daß der Stadtrat in Münster den Wunsch des Zentralkomitees der Katholiken nach einer Finanzierung des Katholikentages dort abgelehnt hat. Mein Wunsch ist nun, daß auch andere Städte diesem Beispiel folgen. Hier in Leipzig hat man nichts dazugelernt und auch dem Evangelischen Kirchentag eine Million Euro zugesagt, obwohl dieser nicht mal in Leipzig stattfindet. Ich muß meinen Kollegen hier also eine akute Merkbefreiung unterstellen ausstellen.

Für welche weiteren Themen engagierst du dich noch im Stadtrat von Leipzig?

Mein absolutes Herzensthema ist Stadtentwicklung und Bau, einfach weil es so vielschichtig ist. Es hat einen sozialen Aspekt: Wie können wir alle Leipziger mit angemessenem Wohnraum überall in der Stadt versorgen? Es hat einen ästhetischen Aspekt: Wie soll das, was wir hier bauen, aussehen und wird es auch den Menschen gefallen, die darin wohnen sollen? Es hat einen räumlichen Aspekt: Wie verteilen wir die Dinge, die eine Stadt ausmachen, in dieser? Städtebau ist ja viel mehr als nur die Frage, wo neue Wohnungen gebaut werden. Es geht um Schulen, Kindergärten, Parks, Denkmäler, Brunnen, Sporteinrichtungen, Kulturgebäude, um Straßenbenennungen, öffentlichen Nahverkehr, Parkraum, Denkmalschutz usw.

Mein zweiter Schwerpunkt ist Arbeitspolitik, was sich kommunalpolitisch meist auf alle Sachfragen rund um das Jobcenter beschränkt. Daher sitze ich auch für meine Fraktion im Jobcenter-Beirat und habe mir fest vorgenommen, in meinen fünf Jahren Mandatszeit dem Jobcenter mächtig Feuer unterm Hintern zu machen.

Das hat bis jetzt auch schon gut geklappt: im November konnte ich in Zusammenarbeit mit einem der Köpfe von sanktionsfrei.de einige interne E-Mails des Jobcenters öffentlich machen, was dazu geführt hat, daß viele Leipziger Hilfeempfänger sich noch die Zahlung höherer Kosten der Unterkunft sichern konnten, die ihnen sonst entgangen wäre.

Für diese Aktion wurde ich bereits zum städtischen Datenschutzbeauftragten zitiert und mir wurde seitens der Stadtverwaltung mündlich ein Disziplinarverfahren in Aussicht gestellt.

Was war bisher dein größter Erfolg?

Oh, das sind eher so die ein oder anderen Puzzle-Steinchen, die man als Erfolge verbuchen kann: Ich zähle da auf jeden Fall schon unseren Stadtratswahlkampf dazu, der ja in ein ganz anständiges Ergebnis gemündet ist, und danach hatten wir sogar noch eine Nachwahl zu bestreiten, in der wir es geschafft haben, unseren Sitz nicht wieder zu verlieren.

Ich freue mich auch darüber, daß ich einen für uns positiven Fraktionsvertrag verhandeln konnte; durch „(K)Eine Million“ haben wir landesweit auf uns aufmerksam machen können und erst kürzlich konnte ich durch zähe Verhandlungen mit drei Fraktionen den Livestream aus dem Stadtrat nicht nur verteidigen, sondern auch weiter ausbauen, sodaß mehr Menschen an dem teilhaben können, was wir hier für sie entscheiden dürfen und müssen.

Von außen klingt das sicher alles nach Kleinigkeiten, aber jeder, der kommunalpolitisch arbeitet, weiß, wie mühsam alles sein kann. Man freut sich da eben schon an jenen Kleinigkeiten.

Kommunalpolitik kann sicher manchmal auch frustrierend sein. Was würdest du an der etablierten Politik sofort ändern, wenn du es dürftest?

Die sächsische Gemeindeordnung ist oft hinderlich, gerade für kleine Parteien. Zuerst einmal würde ich das willkürliche Festlegen der Mindestanzahl an Ratsmitgliedern für eine Fraktion abschaffen – ein Fakt, der hier in Leipzig die Bildung einer kleinen Fraktion verhindert hat.
Aber ich finde es auch ungerecht, daß Stadträte nur dann Anträge einreichen dürfen, wenn dem mindestens 20 % der Ratsversammlung (oder eben eine Fraktion) zustimmen. Dies hindert gerade Einzelstadträte oder in ihrer Fraktion nicht so beliebte Mitglieder der Ratsversammlung daran, ihre Ideen in den Prozeß einzubringen.

Daß fast alle Ausschüsse unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagen, sehe ich ebenfalls kritisch. Für einige wichtige Entscheidungen ist Vertraulichkeit sicher von Vorteil, gerade wenn es um Finanzverhandlungen geht, die sich sonst für die Stadt nachteilig entwickeln könnten, jedoch sollte es auch in beratenden Ausschüssen einen öffentlichen Teil geben. Dies wären alles kleine Schritte, die unproblematisch umzusetzen wären, und die die Ratsarbeit aus meiner Sicht bürgerfreundlicher und demokratischer machen würden.

Welche weiteren politischen Ziele möchtest du in deiner Amtszeit erreichen?

Oh, im Alleingang ist das natürlich schwer! Ich bin nur eine Piratin von 70 Stadträten und habe keine Piratenfraktion hinter mir, sodaß ich da lieber realistisch bleibe.
Ein Anliegen wäre mir, daß die internen Dienstanweisungen des Jobcenters veröffentlicht werden müssen, um den auf Beihilfen angewiesenen Leipzigern zu ermöglichen, sich auf Augenhöhe mit dem Jobcenter zu bewegen. Ich ahne aber, daß die anderen Stadträte von einem solchen Anliegen eher wenig begeistert sind, wie mir die Reaktionen auf die Veröffentlichung interner Jobcenter-E-Mails gezeigt haben.

Da aber auch der nächste Stadtratswahlkampf rein rechnerisch in meine Amtszeit fällt, ist ein weiteres Ziel, daß wir 2019 in Fraktionsstärke in den Stadtrat einziehen werden – Freibeuterfraktion, wir kommen!

Vielen Dank für das Interview.

Gerne 🙂